Tischgespräche

20151016_38Es wäre womöglich gar nicht weiter aufgefallen, wenn Gerhard Ruiss, selbst Autor und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, nicht darauf hingewiesen hätte. Nachdem jahrelang das Geschehen in der Buch-Branche von der rasanten Entwicklung der Neuen Medien bestimmt wurde, ist auf einmal eine Verlangsamung zu verzeichnen. Das Neue ist das Altbewährte, wie Ruiss en passant bermekt. Man setzt sich zusammen und unterhält sich, Tischgespräche eben.

Solche Tischgespräche prägen den Auftritt von Literadio bei der Frankfurter Buchmesse nunmehr seit 15 Jahren. Gerade hat Redakteurin Pamela Neuwirth mit dem deutschen Lyriker Christoph Wenzel zusammen gesessen, dessen Gedichtband „Lidschluss“ im Verlag Edition Korrespondezen erschienen ist. Neuwirth begegnet dem sehr sachlichen Westphalen mit einer Zürückhaltung, hinter der sich große Offenheit und Zugetanheit verbirgt. Wenzel dagegen ist wie ein echter deutscher Ingenieur, sympathisch in seiner Akribie, keine Frage offen zu lassen. So spricht er von verlassenen Räumen, von Kulturlandschaft und von Menschen gestalteten Katastrophen. Und als Pamela Neuwirth ihn zitiert: „Ohne Menschen ist es auch schön“, steigt auf einmal eine leise Emotionalität aus den Worten auf, die dazu führt, dass Wenzel sich fragt, ob der das überhaupt geschrieben habe.

Wenzel ist als Lyriker der Tontechniker, der nichts alles fast und nichts ungewollt klingen lässt. Den der Braunkohleabbau im Ruhrgebiet ebenso interessiert wie die verlassenen Quartiere um das Kernkraftwerk Tschernobyl. Ein Wissenschaftler seines eigenen Wortschatzes. Doch nun ist Schichtwechsel. Gerhard Ruiss und die Redakteurin Daniela Fürst setzen sich an den Tisch und beginnen lebhaft darüber zu diskutieren, wie wichtig eigentlich das haptische Buch noch ist. Ist das rein subjektiv, dass fast alle ständig hinter vorgehaltener Hand zugeben, dass ihnen das gedruckte Buch doch das Liebste ist? Auftritt Jürgen Boos, Geschäftsführer der Frankfurter Buchmesse. Er setzt sich mit an den Tisch

20151016_43Der gibt sich weltmännisch. Als Daniela Fürst darauf hinweist, wie oft das Medium Radio schon totgesagt wurde, erwidert Boos, dass im Gegensatz zu den allgemeinen Prognosen, Tageszeitungen würden verschwinden, der Print in Brasilien auf dem Vormarsch sei. Und Ruiss fällt ein, dass das Buch im Jahr 1995 totgesagt worden war mit Ankunft der CDROM, von der heute auch kaum mehr die Rede sei. Auch dieses Gespräch geht im Flug vorüber. Zum Schluss fällt mit einem fast lautlosen „Patsch“ eine Swatch-Armbanduhr neben der Zuhörerin auf die Erde. Nein, sie ist nicht vom Himmel gefallen, wie sich herausstellt, sondern einer Zuhörerin vom Handgelenk.

Worum war es beim letzten Gespräch noch gegangen? Vorbei. „Jetzt ist die Feier“, stellt die Fotografin und Webadminstratorin Regina Leibetseder-Löw fest. Daniela Fürst hält ihr Mikro an die Sektflasche, die gerade geköpft wird. 15 Jahre Literadio auf der Frankfurter Buchmesse. Das sind 15 Jahre, in dafür gesorgt haben, dass weder das Radio noch die Tischgespräche aussterben. Gratulation.

Gastkommentar von Natalie Soondrum